Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes...

02. Feb 2024

von Markus Schäller

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes...

Nicht ahnend, was dieses Jesuswort für unser Leben bedeuten würde, stimmte ich ihrem Vorschlag zu. Das Mädchen, in das ich mich verliebt hatte, gab mir als Antwort auf meinen „Antrag“ zu verstehen, dass sie es gut fände, wenn wir den Vers aus Matthäus 6,33 über unsere Freundschaft stellen würden. Was sollte ich schon dagegen sagen? Dass ich keinen „Korb“ bekommen hatte, war zunächst wichtiger. Später konnten wir als Ehepaar in vielen Situationen erleben, wie großzügig Gott seine Zusage, sich um die Belange unseres Lebens zu kümmern, einhält, wenn wir seinem Reich und seiner Gerechtigkeit die Vorfahrt gewähren.

Nicht zufällig steht der Blick auf das Reich Gottes auch in unserem IMPULS Magazin an erster Stelle. Wenn uns die Seligpreisungen (Mt 5,1-12) vor Augen führen, was es konkret heißt, nach Gottes Gerechtigkeit zu trachten, so treten in weiteren markanten Jesusworten die Konturen des Reiches Gottes hervor:

"Mein Reich ist nicht von dieser Welt."

So entgegnet Jesus dem römischen Präfekten Pontius Pilatus auf die Frage, ob er der König der Juden sei (Joh 18,36). Von einem König hätte man erwarten können, dass er seine Truppen aufmarschieren lässt, wenn er angegriffen wird. Ähnlich könnte man erwarten, dass ein König nicht die „Armen im Geist“ glücklich preist, sondern die Reichen. Nicht die Barmherzigen, sondern die Erfolgreichen. Nicht die Sanftmütigen, sondern die Durchsetzungsstarken. Nicht die Friedensstifter, sondern die Kriegshelden... Was Jesus in den Seligpreisungen lehrt, will nicht so recht in diese Welt passen, auch wenn unsere Welt kaum etwas nötiger hat als Frieden und Barmherzigkeit. Es folgt den Werten seines Reiches, das nicht von dieser Welt ist.

„Dein Reich komme!“

So beten Christen seit 2000 Jahren im Vaterunser, doch was man mit dem Reich Gottes meint, war und ist sehr unterschiedlich:

  • Augustinus z.B. verstand das Reich Gottes als die Herrschaft der Kirche auf Erden, was – bei allem Respekt vor dem großen Theologen – im Mittelalter zu verheerenden Konsequenzen führte. Man denke nur an die Kreuzzüge, die mit Frieden und Barmherzigkeit nichts zu tun hatten.

  • Die Lehre des einstmaligen Augustinermönchs Martin Luther, der die Christen im geistlichen und weltlichen Reich gleichermaßen sah, war bedeutend ausgewogener, konnte aber in zwei Weltkriegen zum Kadavergehorsam gegenüber Diktatoren missbraucht werden.

  • In der Geschichte der Brüderbewegung waren manche aufgrund einer dispensationalistischen Sichtweise der Überzeugung, dass sich die Aussagen zum Reich Gottes auf Israel beziehen, aber nicht auf die Gemeinde.

  • Wenn ich mich dagegen mit meinen charismatischen Freunden unterhalte, begegnet mir ein eher räumliches Verständnis, aufgrund dessen man z.B. bestimmte Orte „freisetzen“ will, um sie räumlich für Gottes Reich zu gewinnen. Möglicherweise hat diese Sichtweise aufgrund der vielen Worship-Songs, die Gottes Reich zum Thema haben, aktuell den größten Einfluss.

  • Für wieder andere ist die Aussage, „Lasst uns mal die Reich-Gottes-Perspektive einnehmen.“, gleichbedeutend mit: „Lasst uns mal über den Schüsselrand unserer Gemeinde hinausdenken.“ ...

Angesichts so unterschiedlicher Perspektiven ist es angebracht, selbstkritisch zu fragen, mit welcher Brille wir auf den Begriff „Reich Gottes“ schauen. Weil das Wort „Reich“ in der deutschen Geschichte („Von der Maas bis an die Memel...“) negativ belastet ist, wäre eine Maßnahme zu einem ausgewogenen Verständnis, dass wir von der „Königsherrschaft“ sprechen, denn das griechische basileia tou theou kann auch als „Königsherrschaft Gottes“ übersetzt werden.

Wenn ich die besagte Bitte aus dem Vaterunser im Kontext (Mt 6,9-13) betrachte, drängt sich mir vor allem dieser Gedanke auf: Reich Gottes ist da, wo man seine Herrschaft anerkennt – wie (es) im Himmel (bereits der Fall ist), so (soll es) auch auf Erden (werden). Weil dieses Ziel offensichtlich noch nicht erreicht ist, beten wir darum und handeln dementsprechend. Die Bitte, dass Gott seine Herrschaft für alle sichtbar machen möge, wäre heuchlerisch, wenn wir uns als Gottes Bodenpersonal nicht mit dieser Zielstellung identifizieren, indem wir leben, was Jesus lehrt.

„Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“

So antwortet Jesus den Pharisäern, die wissen wollen, wann das Reich Gottes kommt (Lk 17,20-22). „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte.“, lässt Jesus die Fragesteller wissen. Das setzt eine bestimmte Reich-Gottes-Vorstellung der Pharisäer voraus. Daniel 2 dürfte dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben, denn dort ist von der Abfolge verschiedener Weltreiche die Rede und schließlich von einem Königreich, das „der Gott des Himmels aufrichten“ und das „ewig nicht zerstört werden wird“ (Dan 2,44). Natürlich war die Sehnsucht nach diesem Reich in Zeiten der Bedrückung wie unter dem römischen Joch besonders wach.

Was Jesus meint, wenn er davon spricht, dass das Reich Gottes „mitten unter euch“ ist, erklärt sich durch eine andere Aussage: „Wenn ich ... durch Finger Gottes die Dämonen austreibe, so ist also das Reich Gottes zu euch gekommen.“ (Lk 11,20). Er spricht offensichtlich von sich selbst. Wo Jesus ist, da ist auch Reich Gottes. Und wo Menschen Jesus nachfolgen, da ist ebenfalls Reich Gottes. Man kann es nicht „beobachten“, auf einer Landkarte einzeichnen, durch Grenzanlagen umzäunen oder mit sakralen Bauwerken gleichsetzen, denn es ist „mitten unter euch“.

„Das Reich der Himmel gleicht einem Senfkorn.“

So erklärt Jesus (Mt 13,31-32) in einem seiner vielen Gleichnisse, die verschiedene Prinzipien und Charakterzüge der Königsherrschaft Gottes verdeutlichen. Natürlich meint „Reich der Himmel“ nichts anderes als „Reich Gottes“, denn nach jüdischer Ausdrucksweise ist es nicht ungewöhnlich, „die Himmel“ zu sagen, wenn man Gott meint bzw. den Namen Gottes nicht aussprechen will (vgl. 2Mo 20,7). Das winzige, zwischen Daumen und Zeigefinger nicht sichtbare Senfkorn, das zu einem Baum bzw. Strauch heranwächst, der 6 Meter Höhe erreichen kann, steht für etwas Unscheinbares mit gewaltigem Wachstum. Eine Reihe weiterer Gleichnisse unterstreichen dies. Wenn wir also Wachstum als ein wesentliches Kennzeichen das Reiches Gottes festhalten, so ist es andererseits auch das Kleine, Demütige und Unscheinbare, das Gott gebraucht, um Großes daraus zu machen. Richten wir dabei unseren Blick auf Regionen dieser Welt, wo heute Erntezeit ist, so sollten wir auch bedenken, dass anderswo gesät wird und die gute Saat eines Tages in Form einer reichen Ernte sichtbar sein wird. Wo Jünger Jesu aus der Kraft des Evangeliums im Sinne der Seligpreisungen Barmherzigkeit üben, Frieden stiften oder um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, dürfen sie damit rechnen, dass ihr Einsatz zu einer reichen Ernte führen wird, auch wenn sie auf Erden wenig oder nichts davon sehen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass neben dem guten Weizen auch das Unkraut emporwächst, wie Jesus mit dem Gleichnis vom Unkraut im Acker (Mt 13,24-30; 36-43) verdeutlicht. Wir sollten uns also nicht über das viele Unkraut wundern, das tagtäglich aus dem Boden schießt. Es darf wachsen und sogar ausreifen. Gott kümmert sich um das Unkraut - aber nicht jetzt, sondern erst zur Ernte. Wir dürfen uns an Böses nicht gewöhnen, aber es gehört zum Plan Gottes, dass das Böse auf dieser Welt ausreifen darf (vgl. Mt 13 mit Off 13).

„Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden.“

So spricht Jesus seinen Jüngern zu, bevor er sie in die Welt sendet (Mt 28,16-20). Er bekommt diese Macht nicht erst in Zukunft, sondern hat sie bereits. Aber was ist von dieser Macht spürbar? Wo in unserem Lande ist erkennbar, dass Jesus als König aller Könige regiert? – Der krasse Widerspruch zwischen der Zusage Jesu und dem Zustand der Welt schreit nach einer Auflösung. Die Schuldfrage wurde am Kreuz von Golgatha beantwortet, aber die Beantwortung der Machtfrage steht noch aus. Der Zustand dazwischen bedeutet für Christen, das Spannungsfeld von „schon“ und „noch nicht“ auszuhalten – oder wie Paulus formuliert, in der Nacht so zu leben, als sei es schon Tag (Röm 13,11-14). Es ist eine Zeit, in der es gilt, das Evangelium in die Welt zu tragen (Mt 24,14) und nach den Werten des Reiches Gottes zu leben, auch wenn sie nicht den Maßstäben der gegenwärtigen Weltzeit entsprechen (Röm 12,1-2).

Die Hoffnung, Zuversicht und Sehnsucht, dass Gott allem gottlosen Treiben auf dieser Welt ein Ende setzt, drückt sich in dieser Bitte aus: „Dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.“

Markus Schäller





DTh (UNISA) Markus Schäller

Leiter Biblische Lehre & Theologie im ChristusForum Deutschland


 

Mehr zum aktuellen Jahresthema findet Ihr unter AKTUELLES Dein Reich komme. Diese Seite wird stetig weiter mit Inhalten zum Thema gefüllt.

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