09. Feb 2022
von Friedemann Volke
‚Gemeinde als
Begegnungsort mit Gottes Liebe‘? Das klingt zu schön, um wahr zu sein.
Und doch ist es so gedacht. Wenn Du einmal überlegst, wann Du das letzte Mal Deine
Gemeinde in dieser Weise erlebt hast – welche Situation fällt Dir da ein?
In der Gemeinde will Gott jeden Menschen seine Liebe erleben lassen und Einblick in seine Weisheit geben (Eph 3,10). Wesensmäßig ist die Gemeinde keine Institution, sondern sie ist eine Lebensgemeinschaft von Menschen, die Jesus Christus persönlich begegnet sind. Die Begegnung mit IHM bringt sie zusammen. Wo zwei oder drei, zwanzig oder dreißig, zweihundert oder dreihundert in Seinem Namen zusammen sind, da will Er selbst mitten unter ihnen sein (Mt.18,20).
Wer nun erwartet, dass die Gemeinschaft von Christen ‚himmlischen Zuständen‘ entspricht, wird vermutlich enttäuscht werden. Oft genug zeigt sich das Miteinander sehr irdisch und ganz und gar nicht himmlisch. Jemand erzählte mir von seinem gemeindlichen Spießrutenlauf, weil seine Ehe zerbrochen war. Jeder wollte auf einmal mitreden. Jeder hatte seine Meinung und sein Urteil dazu. An der Art und Weise, wie ihm begegnet wurde, konnte er spüren, in welche Richtung der Beurteilungsdaumen zeigte. „Wenn die Christen so barmherzig sind, wie ihr himmlischer Vater, dann möchte ich dem lieber nicht begegnen…“, sagte er.
Gleichzeitig wird die gemeinsame Ausrichtung auf Jesus Christus als stärkend und heilsam erlebt. Die Gegenwart von Jesus und Seine bedingungslose Annahme wird mitunter spürbar erfahren. Eine an Multiple Sklerose erkrankte Frau sagte mir: „Die Lieder geben mir Trost. Die Begegnungen mit den Glaubensgeschwistern geben mir Hoffnung. Die Gemeinschaft gibt mir Kraft. Die Gebete geben mir Erleichterung und Zuversicht.“
Ein Umgang miteinander, der von Gottes Liebe geprägt ist, ist
in 1Kor 13,4-9 beschrieben. Er soll ein Erkennungszeichen der Christen sein (Joh
13,34-35). An der Beschreibung in diesen Versen kann sich das Reden und das Handeln
messen lassen.
In einer Studie darüber, welche Faktoren für Gemeindewachstum durch Bekehrungen
wichtig sind, kommt Prof. Dr. Philipp Bartholomä (FTh Gießen) zu interessanten
Ergebnissen.(1) Was Menschen veranlasst, ihr Leben für Jesus Christus zu öffnen,
ist nicht die professionelle Lobpreismusik, auch nicht das Ambiente der
Gottesdiensträume, der perfekte Auftritt der Gemeinde in den sozialen Medien oder
die charismatische Erscheinung und Redegewandtheit des Pastors. Alle diese
Dinge haben einen gewissen Beitrag, der Hauptfaktor aber ist die Art und Weise,
wie Menschen einander begegnen. Es ist der respektvolle, wertschätzende Umgang,
das Ernstnehmen der noch nicht abgeschlossenen Suche, das Erleben, dass sich Menschen
mir und meinen Fragen in einer persönlichen Weise widmen.
Die von Gottes Liebe durchdrungene Art der Begegnung ist geprägt von Freundlichkeit, Interesse, Empathie, Respekt, Gastfreundschaft, Ermutigung, Zuspruch und Gebet.
Wo entdeckst Du diese Haltung und diese Art des Umgangs bei Dir? Wo bei anderen?
Gottes Liebe zeigt sich
nicht in Kritiksucht, Grabenkämpfen, Machtgehabe, Lagerbildung,
rechthaberischem Auftreten, Neid, übler Nachrede, abwertenden Feedbacks und Kommentaren
in den sozialen Medien.
Ein guter Gradmesser zur Einschätzung ist, sich zu fragen, ob das, was man
gerade erlebt, hört oder liest, aus der Liebe Gottes kommt oder einem
menschlich gesonnenen Herzen entspringt.
Die Wege, auf denen Gott Menschen mit Seiner Gegenwart und Liebe berührt, sind
erstaunlich, vielfältig, bewegend und nicht vorhersagbar. Menschen werden emotional
berührt, z.B. durch Aussagen eines Liedes, die sie ergreifen oder durch tiefgehende
Begegnungen, unerwartet schöne Informationen, Gebetserhörung oder Situationen
und Erlebnisse, die emotional sehr bewegend sind.
Ebenso ist es möglich geistlich berührt zu werden und zu staunen über
Gottes Wirken, Seine Barmherzigkeit und Seine unfassbare Güte jedem gegenüber. Mitunter
kann das auch im Abendmahl geschehen, wo man sich neu bewusst macht: ‚Die Liebe
des Retters hat triumphiert, als ER am Kreuz den Tod besiegte, wurde ich erlöst‘
(Titus 2,11, Kol 2,12-15).
Menschen können geistig berührt werden, indem sie Dinge neu verstehen
und entdecken; z.B. ein tieferes Verständnis für die großen Zusammenhänge
bekommen, in denen Gott Seine Herrschaft ausübt und Seine Ziele verwirklicht.
Die Offenbarung Gottes und Seines Wesens in der Bibel zu erforschen und zu studieren,
kann in tiefer Weise berühren. ,Wenn Gott für uns ist, wer sollte gegen uns
sein?‘ (Röm 8,31). ‚Den, der keine Sünde kannte, hat er für uns zur Sünde
gemacht‘ (2Kor 5,21).
Wann und wie hast Du solche Momente erlebt? Wie hast Du sie mit anderen geteilt?
Das Maß, wie stark ich Gottes Liebe in der Gemeinde erlebe, hängt mit davon ab, wie wir miteinander umgehen. In welcher Haltung begegne ich meinem Gegenüber? Habe ich den Wunsch, Jesus Christus im anderen zu sehen? Komme ich als ein fordernder Mensch, der in erster Linie sein eigenes Wohlbefinden im Blick hat oder als ein von Gott beschenkter Mensch, der andere durch eine offene und zugewandte Haltung beschenken will und in die Gegenwart Gottes hineinführen will?
Wenn wir Gott in seiner Person groß machen, Jesus Christus als Herrn und Erlöser in den Mittelpunkt stellen, einander Gutes wünschen und wertschätzend miteinander umgehen, dann wird auch Deine Gemeinde ein Begegnungsort mit Gottes Liebe sein.
(1) Aus dem Vortrag „An den Menschen bringen“ während der Tagung für Hauptberufliche Mitarbeiter in Rehe am 18.01.2017
Friedemann Volke
Mitarbeiter im BEN-Team im ChristusForum Deutschland und Leiter des Bereichs Hauptberufliche Mitarbeiter