Buchbesprechung: MASADA - Der Kampf der Juden gegen Rom

05. Dez 2022

von Markus Schäller

Der Kampf der Juden gegen Rom.

Jodi Magness

Wenn Du zu den vielen Reisenden zählst, die im Rahmen einer Israelreise beeindruckt auf dem Plateau der Felsenfestung Masada gestanden haben, und ein bisschen historisches Interesse mitbringst, wirst Du das Buch von Jodi Magness nicht so schnell aus den Händen legen.

Die Autorin versteht es meisterhaft, die großen Zusammenhänge zu beschreiben und doch akribisch ins Detail zu gehen. Rund um den Ort, wo vor knapp 2000 Jahren 967 jüdische Kämpfer lieber den Freitod suchten als den Römern in die Hände zu fallen, zeichnet sie die Umstände der Erbauung, der Eroberung, der Zerstörung und der Wiederentdeckung Masadas nach.

Flavius Josephus, der zunächst auf jüdischer Seite kämpfte, aber nach seiner Gefangenschaft die Seiten wechselte, gilt als Kronzeuge der Geschehnisse zwischen 66 und 74 n. Chr. Die neuere Forschung stellt die Zuverlässigkeit seiner Aussagen allerdings zunehmend infrage, weil er die römischen Besatzer in besserem Licht dastehen lässt als sie es verdienen. Jodi Magness bringt den aktuellen Forschungsstand zur Sprache und wägt mit plausiblen Argumenten ab, was sich wahrscheinlich wie zugetragen hat.

Wer sich für das Neue Testament interessiert und wem es nicht gleichgültig ist, in welcher „historischen Großwetterlage“ es entstand, wird in diesem Buch viele Interessante Entdeckungen machen.

MASADA

Magness, Jodi, 2020, 400 Seiten, ISBN: 9783806240771

Hand aufs Herz: Was weißt Du über die dramatische Geschichte Israels zwischen Altem und Neuem Testament? Welches Schicksal hatte das jüdische Volk unter den griechischen Fremdherrschern? Wie kam der Idumäer Herodes – ein Nachkomme Esaus – auf den Königsthron? Welches Schicksal hatten die Juden unter dem römischen Joch und was führte schließlich zum Jüdischen Krieg, der 66 n. Chr. ausbrach und mit der Eroberung Masadas 73/74 n. Chr. ein brutales Ende fand?

Für mich als Neutestamentler sind historische Fakten vor allem dann interessant, wenn sie sich in direkte Verbindung mit biblischen Aussagen bringen lassen. Manchmal lässt die „Hintergrundbeleuchtung“ von Bibeltexten Konturen hervortreten, die Leserinnen und Leser im 21. Jahrhundert schnell übersehen. Mancher Text wird „lebendig“, wenn man sich die ursprünglichen Adressaten in ihrem kulturellen Umfeld vorstellen kann. Das erleichtert dann auch die Anwendung biblischer Aussagen für unser Leben in der Gegenwart.

In Apostelgeschichte 23 wird berichtet, wie Paulus in Jerusalem in römische „Schutzhaft“ gerät und nach Caesarea überstellt wird. – Im Buch von Jodi Magness erfährst Du, wie man sich die römische Militärpräsenz in Jerusalem vorzustellen hat. Schließlich galt es, eins der weltgrößten Bauwerke – den Herodianischen Tempel – und mit ihm ein religiös-politisches Pulverfass im Auge zu behalten. In der Amtszeit von Statthalter Cumanus (48-52 n. Chr.), einem Nachfolger von Pilatus, genügte ein kleiner Funken, um eine Katastrophe anzurichten: Einer der Soldaten, die auf den Säulenhallen rund um das Heiligtum postiert waren, wendete das entblößte Gesäß den jüdischen Pilgern zu und gab einen der Körperhaltung entsprechenden Laut von sich. Bald flogen Steine aus der Menge, worauf der römische Befehlshaber Verstärkung aufmarschieren ließ. In der anschließenden Massenflucht wurden 20.000 bis 30.000 Juden getötet (S. 223). Der sich zuspitzende Konflikt, der nicht zuletzt auf die Unfähigkeit römischer Regionalpolitiker zurückzuführen ist, führte schließlich zum Jüdischen Krieg.

Du erfährst, wer Marcus Antonius Felix war, vor dem sich Paulus zu verantworten hatte, und wie er die 16-jährige Schönheit Drusilla überredete, sich von ihrem Mann zu trennen, um ihn zu heiraten (S. 224). Dem königlichen Geschwisterpaar Herodes Agrippa II. und Berenike (Schwester von Drusilla), denen Paulus als Staatsgefangener vor Porcius Festus vorgeführt wurde (Apg 25), sagte man ein inzestuöses Verhältnis nach (S. 228). – Man kann sich gut vorstellen, dass die Ethik der Christen, wie sie uns im NT begegnet, in Konflikt mit den Herrschenden geriet.

Ein anderes Beispiel: Wenn in Matthäus 19 vom Scheidebrief die Rede ist, ohne den in der jüdischen Gesellschaft ein Mann seine Frau nicht entlassen durfte (5Mo 24), so erfährt man aus einem aramäischen Papyrus, der 1951 im Wadi Murabba`at gefunden wurde, wie ein solcher Brief (hebräisch get) im 1. Jahrhundert n. Chr. formuliert wurde:

„Am ersten des Marcheschwan des sechsten Jahres in Masada. Weggeschickt und geschieden wurde aus meinem freien Willen heute von mir, Yehoseph, Sohn des Naqsan, wohnhaft in Masada, Miriam, Tochter des Yehonathan aus Nablata, wohnhaft in Masada. (Ich bestätige), dass du meine Frau warst zuvor...“

Der Brief belegt, dass auch Frauen unter den Aufständischen waren. Vermutlich strebte die erwähnte Miriam unter den schrecklichen Umständen die Scheidung von ihrem Mann Yehoseph (Josef) an und floh noch vor der Belagerung aus Masada (vgl. S. 293-94; Textzitat nach FAZ.net, „Als Jerusalem schon erobert war“ von Ulf Rauchhaupt, 14.04.2020).

An vielen Stellen bringt Jodi Magness Fakten, die im Einklang mit der biblischen Überlieferung stehen. Gelegentlich zieht sie aber biblische Berichte auch in Zweifel. So heißt es z.B. auf S. 200: „Herodes war als Herrscher grausam und ruchlos. Ironischerweise ist er heute vor allem für eine Untat bekannt, die er wahrscheinlich gar nicht begangen hat: den Kindermord von Bethlehem (Mt 2, 16-18).“ Hauptargument für diese Ansicht ist, dass außer dem Matthäusevangelium keine Quelle bekannt ist, die den schrecklichen Kindermord erwähnt (S. 210). – Hierzu muss gesagt werden, dass ein sog. argumentum e silentio („Argument aus dem Schweigen“) kein besonders stichhaltiges Argument ist. Die Tatsache, dass ein Ereignis in einer Quelle nicht erwähnt wird, belegt noch lange nicht, dass das Ereignis nicht stattgefunden hat. Dass Herodes „dem Großen“ die Tat zuzutrauen war, kann kaum bezweifelt werden. Kaiser Augustus soll über ihn gesagt haben: „Es ist besser, Herodes` Schwein zu sein als einer seiner Söhne.“ (S. 209, Quelle: Macrobius Saturnalia 2, 4, 11). – Angesichts vieler Grausamkeiten, die Herodes beging, muss man die Frage stellen: Aus welchem Grund sollten Quellen wie z.B. die Schriften von Josephus den Mord an einigen männlichen Kleinkindern bis 2 Jahren erwähnen? Die Zahl der Kinder dürfte in dem kleinen Ort Bethlehem ein Dutzend kaum überschritten haben. – Zum Vergleich: In Aschkelon, einer Stadt nördlich von Gaza, fanden Archäologen im Keller eines großen Hauses aus dem 1. Jh. n. Chr. etwa 200 Skelette von Kleinkindern, die offenbar grausam ermordet worden waren. Die meisten waren nur wenige Monate alt und männlich (vgl. Carsten Peter Thiede. 2003. Jesus. Der Glaube. Die Fakten. S. 36-37). Wie immer man sich diesen schrecklichen Fund erklärt (es könnte sich z.B. um ein Bordell gehandelt haben): er belegt, dass in der besagten Zeit Grausamkeiten viel größeren Ausmaßes stattfanden, von denen keine schriftliche Quelle berichtet. Grundsätzlich ist meine Haltung: Wenn historische Fakten im Widerspruch zu biblischen Aussagen stehen, müssen wir diese Spannung zunächst einmal aushalten, ohne der Bibel zu misstrauen. Gelegentlich lösen sich vermeintliche Widersprüche in Luft auf, wenn neue Informationen bekannt werden. Auch historische Forschung kommt nicht über die Momentaufnahme des aktuellen Wissens hinaus und muss vorfindliche Fakten interpretieren.

Wenn ich beim Lesen des Buches auch das eine oder andere Fragezeichen an den Seitenrand gesetzt habe, überwiegen doch die begeisterten Ausrufezeichen und Unterstreichungen bei Weitem. Manches Puzzleteil historischer Information kam hinzu und andere fügten sich in ein Bild, das heute um einiges klarer ist als zuvor. - Ein hilfreiches, interessantes und informatives Buch, das ich allen historisch-biblisch interessierten Leserinnen und Lesern, die sich der Grenzen historischer Forschung bewusst sind, wärmstens empfehle.

Die Autorin: Prof. Jodi Magness, Ph.D., ist eine international renommierte Archäologin, die an der University of South Carolina in Chapel Hill lehrt. Als Studentin war sie an der Seite von Yigael Yadin an den Ausgrabungen von Masada beteiligt; später leitete sie selbst Grabungen vor Ort.

Markus




D.Th. (UNISA) Markus Schäller

hat im Fachgebiet der Bibelwissenschaft des Neuen Testaments promoviert und ist Mitglied der Facharbeitsgruppe Neues Testament im Arbeitskreis für evangelikale Theologie (AfeT). Im ChristusForum Deutschland leitet er u.a. den Bereich „Biblische Lehre & Theologie“.

 

1Kommentar

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    Matthias Miethe
    06.12.2022 16:24 Uhr

    Lieber Markus, ich war beim Durchlesen deiner Rezension begeistert, von deinen Schilderung, besonders auch neuerer Aussagen der Autorin, und freue mich über alle Hinweise und Beurteilungen zu dem Buch.
    Matthias

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