Mentoring in der Gemeinde - hohe Kunst oder einfach genial?

26. Feb 2021

Von Daniel und Laura Pfeifer

Warum eigentlich Mentoring?

Zugegeben wir sind nicht die sportlichsten Menschen und auch nicht die erfahrensten Bergsteiger. Doch wir waren durchwegs motiviert als wir uns zu einer 7,5 stündigen Bergtour in unserem letzten Urlaub aufgemacht haben.

Eigentlich haben wir uns gut ausgerüstet gefühlt und die Route im Vorfeld klar abgesteckt. Wir unterschätzten jedoch, was uns dieser Tag abverlangen würde: Nach 4 Stunden steilen Marsch befanden wir uns in einem steinigen Niemandsland auf 2.700 Höhenmetern – laut Plan der höchste Punkt der Tour. Unsere Motivation war dagegen am Tiefpunkt angelangt, da sich nirgendwo eine Kehrtwende zum Ausgangspunkt abzeichnete. Das Google-Navigationssystem überforderte uns. Es sah Wege vor, wo keine waren. 2,5 Stunden war es her, dass wir einen anderen Wanderer sahen. So waren wir fast soweit, die Wanderung abzubrechen und umzukehren. Schließlich düste ein älterer Mann an uns mit eilendem Schritt vorbei, er ließ uns links liegen und brachte ein flüchtiges „Servus!“ über seine Lippen. Nur 2 Minuten später näherte sich mit gleich eilendem Schritt ein weiterer Herr. Schnell fügten wir an unser „Servus!“ die Frage an: „Können sie uns helfen? Wir wissen nicht, ob wir noch richtig sind und wie wir an unser Ziel kommen. Sie marschieren so als würden sie sich auskennen.“ Und tatsächlich: der Mann half uns weiter. Er verlangsamte unseretwegen seinen Schritt und führte uns bis zu dem Punkt, an dem unser Abstieg beginnen sollte. Diesen hätten wir mit großer Wahrscheinlichkeit verpasst. Er nahm sich Zeit, erklärte uns, wie der Weg weitergehen würde und auf was wir achten sollten. Er wies uns sogar auf die Naturschönheiten hin, die wir ohne ihn nicht in diesem Maß gesehen hätten.

Realität junger Christen

Wenn wir Menschen in der Gemeinde fragen, ob sie geistliche Wegbegleiter (Mentoren) für diese oder jene jüngere Person sein könnten, reagieren sie meist sehr zögerlich. Unterschiedliche Emotionen lösen solche Anfragen aus. Die meisten hatten selbst nie einen Mentor und fragen zurecht: „Was soll ich als Mentor nur tun?“ Manchmal zeigt sich sogar Ängstlichkeit. Sie sind sich nicht sicher, den Anderen überhaupt (an)leiten zu können. Wieder andere scheuen sich vor dem zeitlichen Aufwand. Wir finden wesentlich einfacher Christen, die praktische und organisatorische Dienste in der Gemeinde übernehmen, aber praktisch kaum jemanden, der ein wegbegleitendes Gegenüber für junge Christen sein möchte.

Das ist die Realität: In unseren Gemeinden sind wir umgeben von Menschen, die nach einem Mentor hungern – aber keinen finden. Dabei ist „Mentoring“ eines der Topthemen der letzten zehn Jahren. Verschiedenste Bücher, Artikel und Konferenzen haben uns deutlich gemacht, wie wichtig das ist. Genau hier haben wir den Eindruck, dass Gemeinden nicht in Mentoring investieren, weil der gefühlte Anspruch zu hoch liegt. Die Bücher haben uns viel beigebracht und vielleicht sogar überfordert. Wir haben es verkompliziert. Und nur wenige denken, sie hätten Zeit und Talent diese Rolle einzunehmen. Unsere Überzeugung ist dennoch: Mentoring ist enorm wichtig – und einfach! Mentoring macht j/Jünger. Alles was wir dafür brauchen ist 5. Mose 6 und eine gute Tasse Kaffee.

5Mose 6,4-7 Höre, Israel: Der HERR ist unser Gott, der HERR allein! Und du sollst den HERRN, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen sein. Und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich hinlegst und wenn du aufstehst.

Mentoring in der Bibel?

Nach der uns selbstverständlichen Aufforderung, Gott mit allem was wir sind zu lieben, nimmt uns Gottes Wort an der Hand und führt uns weiter. Gehorsam zu sein bedeutet nicht nur, selbst möglichst schnell und gut in der Gottesliebe zu wachsen. Gehorsam zu sein bedeutet ebenso, die nächste Generation in die Gottesliebe zu führen. Wie soll dies geschehen? – Durch Gottesdienste? Predigten? Bibelstunden? Lobpreisabende? Keinesfalls ist dies ausgeschlossen.

Gottes Gebot fordert hier allerdings viel mehr. Die nächste Generation mit Gottesliebe anzustecken bedeutet, ihnen stetig von dieser zu erzählen. Und das ist nicht an Orte oder feste Zeiten gebunden. Stetig erzählen heißt: überall und immerzu. Im Haus. Beim Sitzen. Beim Gehen. Selbst beim Hinlegen und Aufstehen. Heute würden wir vielleicht formulieren: beim Stück Kuchen auf deiner Couch zu Hause, bei Starbucks oder im Dönerladen um die Ecke, auf dem Weg zur Arbeit oder um 20:15 Uhr in unserem Wohnzimmer. Situationen, die du normalerweise für dich selbst beanspruchst, werden Möglichkeiten, in denen andere in ihrer Gottesliebe durch dich wachsen können.

Wenn du den Raum schaffst, passiert, was Paulus in Epheser 4,7.11-13 beschreibt: Der gesamte Leib Christi wächst und ist gestärkt, wenn erfahrene Christen in junge Menschen investieren und diese stärken. Paulus ist genauso wie 5. Mose sehr klar: Unsere Erfahrungen und Begabungen sind nicht zum Eigennutz oder zur Aufrechterhaltung der gemeindlichen Abläufe da, sondern zum Investment in konkrete Personen. Erfahrene Christen sind Glaubensmultiplikatoren durch persönliche Beziehungen. Sie kultivieren geistliches Wachstum bei jungen Christen.

Mentoring in deinem Leben

Der Begriff Mentoring fasst diese biblische Aufgabe gut zusammen – sicherlich kann auch eine andere Begrifflichkeit verwendet werden, wenn denn nur dieser göttliche Auftrag gelebt wird. Mentoring ist für uns eine tiefe geistliche Beziehung mit der Absicht einer Person zu helfen, geistlichen oder praktischen Fortschritt zu erreichen. Es sind also bedeutungsvolle Beziehungen, die tiefer gehen als das oberflächliche „Na, was war in deiner Woche so los?“-Gespräch.

Es ist eine Beziehung, in der eine Frage im Mittelpunkt steht: Wie kannst du mehr zu dem Mann/der Frau werden, den/die Gott in dir schon sieht? Mentoring besteht aus Gesprächen, in denen man J/jünger wird. Der Mentee mehr und mehr Jünger. Der Mentor häufig jünger. Und beide werden mehr in das Abbild Christi verwandelt.

Das Ziel ist nicht, dass Mentor und Mentee sich ein bisschen besser kennenlernen, sich jetzt in der Gemeinde mit „Servus!“ grüßen können, wenn sie aneinander vorbeigehen. Nein! Das Ziel ist, dass Christus tiefer verstanden wird, indem man an der Seite eines erfahrenen Jünger Jesu läuft.

Als Gemeinden, als Leiter und als Mitarbeiter beeinflussen wir die nächste Generation und junge Christen bewusst oder unbewusst. Das können wir nutzen! Wir sollten unseren Einfluss positiv gestalten und nicht dem Zufall überlassen. Wir können so leicht die praktischen Anweisungen aus 5. Mose 6 beherzigen.

Was würde es wohl bewirken, wenn wir den Arbeitsweg, das Mittagessen, unsere Couch um 20:15 Uhr jede zweite Woche sinnvoll mit einem unerfahrenen Christen teilen, mit dem Ziel, dass der Andere von Freuden und Herausforderungen des Glaubens erzählen, wir gute Ratschläge geben und man zusammen im Gebet füreinander einstehen kann? Es könnte das Leben des Anderen und dein Leben grundlegend verändern. Wirklich!

Ein guter Mentor ist wie unser wunderbarer Bergführer – er zeigt Wahrheiten auf, erklärt die unterschiedlichsten Wege, warnt vor gefährlichen Passagen, verweist auf motivierende Aussichtspunkte und bietet höflich Vorschläge an, die die Wanderung erleichtern.

Mentoring und seine Probleme

Mentor zu sein ist also eigentlich keine hohe Kunst, gleichzeitig aber auch nicht nur einfach. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass die Anwendung von 5. Mose 6 Herausforderungen birgt. Wir können Geschwister nachvollziehen, wenn sie sagen „das sei nichts für sie“. Es sind Hürden, denen wir uns trotzdem stellen können.

Das Zeitproblem

„Ich habe doch schon so viel zu tun. Ich weiß gar nicht, wie ich es unterbekommen soll, mich mit Jemandem noch zusätzlich zu treffen.“

Das ist allzu verständlich, denn Mentoring kostet uns tatsächlich Zeit! Und bei den meisten darf dies nicht auch noch obendrauf kommen. Wir schlagen dir vor, hier Prioritäten zu prüfen. Bei aller Wertschätzung für die vielfältigen Aufgaben und Anforderungen in deiner Gemeinde: das Wachstum in der Jüngerschaft von einzelnen Menschen muss uns immer wichtiger sein, als eine noch bessere Dekoration, Organisation, Hausverwaltung, …! Frage dich selbst: Wo sorge ich mich zu sehr um Formen und organisatorische Aufgaben, statt um das Wachstum von Menschen?Die meisten Anfragen, die wir in unserem Dienst erhalten, sind nicht nach noch einer bewegenden Predigt, noch einer tiefgehenden Worship-Night, noch einer tollen Aktion, sondern nach Zeit und persönlicher Begleitung. Das sollte sich ebenso in unserer Zeitplanung wiederspiegeln. Gleichzeitig hilft das in 5. Mose 6 vorgeschlagene Prinzip. Wieso sollten wir unser Abendessen allein haben oder mit belanglosen Gesprächen füllen, wenn wir ebenso gut einen jungen Erwachsenen an unseren Tisch einladen könnten? Satt würden wir genauso dabei werden und die junge Frau/der junge Mann wird vielleicht sogar in seinem Geist satt.

Das Inhaltsproblem

„Und was passiert dann, wenn ich mich mit Jemandem treffe? Was ist, wenn ich keine sinnvollen Ratschläge parat habe?“

Oft saßen wir in Gesprächen, in denen wir selbst keinen wirklich guten Rat wussten. Doch letztlich geht es nicht darum, der perfekte Ratgeber zu sein. Sei nicht Google, sei ein Freund! Gerade junge Menschen suchen gar nicht so sehr nach mehr Glaubensinformationen. Die bekommen sie schneller (und besser) auf Google Search. Sie wollen von dir nicht das, was sie auch online bekommen. Unsere Erfahrung ist, dass junge Menschen schon oft sehr genau theoretisch informiert sind über Gott und den Glauben. Sie suchen jemanden, der ihnen hilft, diesen praktisch zu (er-)leben. Sie suchen jemanden, dem sie vertrauen können, der ihrem Leben zuhört, hilft, Entscheidungen zu treffen – genau das, was sie nicht online finden, aber doch so sehr suchen. Dein Gegenüber braucht nicht noch eine weitere Predigt in seiner Woche. Er braucht Raum, um die gehörten Predigten auf sein Leben zu übertragen. Unserer Erfahrung nach passiert das am besten, wenn wir simple Fragen stellen. Er oder sie redet, ich höre zu und stelle wegweisende Fragen. Er oder sie erzählt vom persönlichen Erleben, ich hinterfrage, ohne alle Antworten schon servieren zu müssen.

Mentoring

Das Unvollkommenheitsproblem

„Der/Die ist einfach geistlich zu unreif und daran werde ich nichts ändern können.“

Wir waren häufig in Mentoring-Prozessen ernüchtert. Wir konnten kein Wachstum oder Veränderung sehen. Auch dich wird die Unvollkommenheit deines Gegenübers garantiert herausfordern und manchmal verzweifeln lassen! Doch wenn das Ziel von Mentoring ist, dass Menschen mehr in das Abbild Jesu verwandelt werden, dann kann es sich um keinen schnellen Mikrowellen-Prozess handeln. Mentoring braucht mehr als zwei Minuten gute Ratschläge, mehr als vier Runden Bibelverse zitieren – BING – und fertig. Junge Christen dürfen Zeit brauchen im Glaubenswachstum. Verlier nicht die Hoffnung! Verlier nicht das Ziel aus den Augen: Jesu Liebe ist langmütig. Verkörpere sie! Am Anfang werden die Treffen vielleicht nicht weltbewegend sein, doch mit der Zeit werden mehr Früchte sichtbar.

Mentoring ist einfach genial!

Wir sehen also nicht nur den Hunger der jungen Christen nach Wegbegleitern im Glauben sowie den klaren biblischen Auftrag, solche zu sein, sondern auch, wie einfach wir einen großen Unterschied im Leben anderer sein können, gleichwohl dies uns etwas kostet. Wir bringen gerne diese Kosten auf, weil wir begeistert sehen dürfen, wie junge Menschen durch diesen Dienst zu hingegebenen Jüngern werden. Es ist für uns die Antwort darauf, dass junge Christen sich im Glauben nicht verirren, sondern mit uns am Ziel des Glaubens ankommen.

Am Abstiegspunkt unserer Wanderung wartete im Übrigen der Mann, der uns als erster überholte und einfach vorbeizog. Er war immer noch wenig daran interessiert, wo wir hinwollten. Sein Fokus lag darauf, selbst anzukommen. Unser Wander-Mentor sagte schließlich in einem herrlichen Dialekt zu ihm: „Du kannst doch die jungen Leute nicht einfach in die Irre laufen lassen, die kennen sich doch nicht aus.“ – wie wahr! Die beiden zogen weiter mit schnellem Schritt und wir kamen doch noch an unserem Ziel überglücklich an.

Konkrete Tipps

Dein Wille zählt!

Warte nicht bis die Gesamtgemeinde ein „Mentoring-Konzept“ auf die Beine stellt. In 5. Mose 6 bist du persönlich gefragt!

Dein Wille zählt!

Lade einen jungen Erwachsenen oder unerfahrenen Mitchristen auf einen Kaffee ein. Erzähl ihm/ihr dann, dass du gerne Wegbegleiter im Glauben sein möchtest und frage, ob er/sie sich das vorstellen könnte. Vor dieser Frage magst du sicherlich Angst haben, aber starke Entscheidungen kosten uns meistens Mut. Und sie sind es wert!

Dein Wille zählt!

Wie lange, wie oft und wo trefft ihr euch? Konstanz ebnet den Weg für Tiefe. Jedes Mal neu vereinbarte Treffen oder zu große terminliche Abstände sind nicht sinnvoll. Daniel hat für sich den #MentoringMittwoch etabliert – Mittwoch ist der Tag, an dem er für sich persönlich immer zusätzlich Zeit für andere einplant. Über die Zeit hat sich Mentoring in seinem Terminkalender automatisch etabliert.

Stelle Fragen!

Stelle möglichst viele und gute Fragen: Wie geht es deiner Beziehung mit Jesus? Wo glaubst du, möchte Jesus bei dir Glaubenswachstum erreichen? Wie erreichst du Gottes Ziele für dein Leben? Was könnte dir helfen deine Herausforderungen zu bewältigen? ... Sei schnell zum Hören, langsam in deinem Reden. (Jakobus 1,19)

Betet miteinander füreinander!

Viele unserer Mentees steckten in ihrem Gebetsleben in Kinderschuhen. Genau hier sollen sie als Jünger wachsen. Nehmt euch Zeit, gemeinsam für die Herausforderungen und Vorhaben des Mentees zu beten. Teile dabei ein Stück deines Lebens mit dem jüngeren Christen! Er/sie darf gerne für dich beten und es lernen, für andere vor Gott einzustehen. Wir erleben mittlerweile: Keiner betet für uns so treu und hingegeben, wie unsere Mentees.

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David Kröker




Daniel Pfeifer

Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim ChristusForum Deutschland

und Pastoralreferent in der EFG Hersbruck


Laura Pfeifer

Diplom Juristin und Jugendmitarbeiterin in der EFG Hersbruck

Bildnachweis: Photo by Jacob Lund on The Noun Project

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