04. Sep 2020
von Daniel Pfeifer
Es kann wirklich schwer sein, Gemeinde zu lieben! Jeder Christ, der schon länger in einer lebt, weiß dies. Die Gemeinde war schon immer ein kunterbunt gemischter Haufen an Menschen. Sie war niemals ideal. Niemals ein Traum. Das Neue Testament existiert zum größten Teil deswegen, weil Gemeinden kompliziert und chaotisch waren. Eine Gruppe an Heiligen, die weiterhin mit ihren Sünden und Fehlern kämpfen. Beeinträchtigt von ihrer Umwelt, den verschiedenen Prägungen und natürlichen Voraussetzungen. Eine Gruppe zum Davonlaufen.
Mit Schmunzeln auf dem Herzen muss ich dabei an die neuen Fluchtwege und Notausgänge denken, die wir in den letzten Monaten an unserem Gemeindehaus ausgebaut haben. Vielleicht sind sie ein treffendes Bild für das, was wir manchmal gegenüber dem lebendigen Gemeindehaus Jesu empfinden, welches Er mit uns Christen baut. In seinem Haus machen wir Erfahrungen, bei denen wir doch am liebsten einen solchen Notausgang nehmen wollen würden. Diese schwierige Zusammensetzung von Christen erscheint uns selten als herrlich. Manchmal sticht uns mehr die Sünde des anderen ins Auge als die Herrlichkeit Gottes in ihm / ihr. Aktiver Teil dieser Gemeinschaft zu sein, bedeutet für uns viel Schweiß, Mühe und Tränen. Deswegen würden wir manchmal lieber von ihr flüchten, statt sie zu gestalten.
Dennoch hat Christus sich diese Gemeinschaft so erdacht. Und ich glaube, dass gerade in diesem herausfordernden Miteinander ein herrlicher Schatz liegt.
Die ersten
Jünger Jesu konnten sich nicht einander aussuchen. Jesus selbst wählte sie (Joh
15,16). Sie haben sich einfach so zusammengewürfelt wiedergefunden. Auch die erste
Gemeinde Jesu hatte sich ihre Zusammensetzung nicht ausgesucht. Sie wurde
ebenso bunt zusammengewürfelt: Juden und Heiden, gebildete und ungebildete,
Sklaven und Herren, verarmte und Aristokraten, einstige Zeloten und
Steuereintreiber, ehemalige Prostituierten und Gesetzeslehrer.
Unmögliche Liebe, unmögliche Gemeinschaft und eine unmögliche Mission: dieser Plan war gefühlt von Anfang an zum Scheitern verdammt? Wie sollte dies funktionieren, außer, wenn ein Gott existiert, der das menschlich Unmögliche möglich macht? – Doch hier sind wir, 2000 Jahre später. Die unmögliche Mission hat unmögliche Gemeinschaften hervorgebracht, die den unmöglichen Auftrag Gottes „Einander zu lieben!“ in dieser Welt immer noch leben. Hinter all den gemeindlichen Problemen, und diese sind unzählbar, muss etwas Wunderbares, Übernatürliches am Werk sein, sonst wären wir nicht hier.
Und doch fühlt sich Gemeinde nicht wunderbar und übernatürlich an. „Die Gemeinde“, so wie wir sie erfahren, ist oft die mehr als unvollkommene lokale Gemeinschaft, zu der wir gehören. Sie besteht aus gewöhnlichen Menschen, die damit kämpfen, miteinander auszukommen, damit kämpfen, was es bedeutet in einer sich ständig verändernden Welt „Gemeinde zu sein“, damit kämpfend, die unmögliche Mission zu erfüllen.
Dieser Kampf fühlt sich alles andere als wunderbar und übernatürlich an. Er ist ermüdend, erschöpfend und frustrierend. Das Kämpfen lässt in uns den Wunsch entstehen, aufzugeben. Doch sollten wir die Gemeinde genau an diesen Punkten nicht aufgeben! Es sind eben diese herausfordernden Kämpfe, die uns die Möglichkeit bieten, die menschlich unmögliche Liebe Christi zu praktizieren, den unsichtbaren Gott durch unseren mit Liebe erfüllten Kampf sichtbar zu machen. Dem Neuen Testament zu Folge ist der Erfolg einer Gemeinde nicht an Mitgliederzahlen, dem Budget, dem Gottesdienstniveau, der Anzahl an Wundern, dem gesellschaftlichen Einfluss oder der Gleichen zu messen. Ihr Erfolg ist einzig und allein an der Qualität ihrer Liebe zueinander abzulesen. Gottes Wort stellt uns für die Messung des Erfolgs ein paar Parameter zur Verfügung:
Wann und wo kannst Du diese Parameter erfüllen? Lies die Zeilen nochmal. Mir fällt auf, dass sich diese Liebe vor allem in herausfordernden Situationen beweisen soll. Wenn es chaotisch, kompliziert und schwierig mit meinem Gegenüber wird, dann ist diese Liebe gefragt. Zu lieben, wenn mein natürliches ICH es eigentlich nicht will. Dadurch wird Christus sichtbar. Jesus gründet die Gemeinde nicht, um einen Ort zu schaffen, an dem Deine Träume wahr werden. Tatsächlich ist es ein Ort, an dem wir viele unserer Träume hinter uns lassen müssen. Was schwierig klingt, ist im Kern Gnade. Sind doch unsere Träume meistens einfach nur selbstsüchtig und zerstörerisch. Unsere persönlichen Erwartungen sind oft Tyrannen für Andere, weil diese sie nicht erfüllen können. Doch wenn wir zuerst auf das Wohl des Anderen bedacht sind, bauen wir ganz automatisch eine wunderbare und übernatürliche Gemeinschaft. Jesus gründete Gemeinde, um einen Ort zu schaffen, an dem der Traum von dieser unmöglichen Liebe wahr wird. Er wird wahr, wenn wir unsere eigenen Vorzüge und Erwartungshaltungen niederlegen. Dies schaffen wir nur, wenn wir stetig auf Golgatha schauen, dort wo Jesus für uns kämpfte. Er flüchtete vor diesem Kampf nicht durch einen Notausgang. Gemeinde leben bedeutet genau dies: jeden Tag zu sterben (1Kor 15,31). Unser Leben und all unsere Vorzüge für den Anderen niederzulegen (1Joh 3,16).
Seit 18 Jahren lebe ich nun Gemeinde. Wie ein Volljähriger mit seinen 18 Jahren wohl genügend Erfahrungen gesammelt hat, um zu entscheiden, ob er weiterhin bei seinen Eltern leben möchte, habe ich ein ganzes Paket an Eindrücken über christliche Gemeinschaft geschnürt. Und ehrlich: Ich finde eine Unzahl an Gründen, um den Notausgang der Gemeinde zu betätigen. Zu flüchten.
Doch ich frage mich, ob dieses Gefühl aus einem selbstlosen, gottesfürchtigen Herzen entsteht, oder nicht eher aus menschlichen Motiven. Enttäuschungen, Ruhelosigkeit, Unzufriedenheit, Burnout, Beziehungskonflikte und unerfüllte Erwartungen bringen doch eher dieses Gefühl hervor als Gottes Geist. Jesus ruft mich nicht auf in der idealen Gemeinde zu leben. Jesus ruft mich auf in der Gemeinde zu leben, in die Er mich gestellt hat. Wenn Petrus sich nicht seine Mit-Jünger aussuchen durfte, mit denen er Gemeinde leben sollte, wie komme ich dann auf die Idee, dass ich es mir aussuchen könnte? Jesus tut es für mich. Er stellt uns dabei oft in die herausforderndste, chaotischste, unvollkommenste Gemeinschaft unter der ich der größte Sünder bin (1Tim 1,15). Warum? Damit wir eine unmögliche Liebe praktizieren durch die Jesus Christus für meine Welt sichtbar wird. Ich glaube, wenn wir dies leben, werden immer mehr Menschen anfangen, die Gemeinde als den Notausgang für ihr kaputtes Leben zu entdecken – so wie in den ersten Gemeinden. Eine unmögliche Liebe wird dann ganz real.
In den letzten Tagen verwende ich manchmal ganz bewusst daher die Fluchttreppe und den Notausgang unseres Gemeindehauses als Eingang – betend, dass mehr und mehr Menschen zu Jesus fliehen und wir sein Gebot erfüllen.
Daniel Pfeifer
Referent für Öffentlichkeitsarbeit beim ChristusForum Deutschland
und Pastoralreferent in der EFG Hersbruck
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